Nur noch 28 Tage! Und der Ölvis wird nervös - Da sein Saugknopf anscheinend eine unlösbare Verbindung mit der Frontscheibe eingegangen ist, bekommt er nun unfreiwillig alles mit. Jede einzelne Kleinigkeit, jeden Fehler, das kleinste Problem und jede Aufgabe. Nicht, dass ich ihm alles beichte, aber ab heute läuft der Countdown – und in der Werkstatt hängt eine große weiße To-do-Tafel. Eher schwarz-weiß, denn das jungfräuliche Weiß wurde blitzschnell mit schwarzem Filzstift vollgeschrieben.
Aufgabe für Aufgabe – und die Tafel war sehr schnell voll. So voll, dass einem schwindelig werden konnte. Denn ab heute sind es nur noch 28 Tage.
Was mich persönlich nervös macht, ist der Umstand, dass der Porsche noch keine Zulassung hat, keine TÜV-Abnahme und auch noch keine größere Probefahrt absolviert wurde.
Mit der Zulassung wird es noch „lustig“, denn ich muss das Auto in Polen anmelden – in meiner neuen, alten Heimat. Lustig, aber nicht zum Lachen, denn hier gelten andere Gesetze. Nach über 40 Jahren in Deutschland ist man so etwas wie Logik gewohnt. Hier ist es etwas anders. Um die Wahrheit zu sagen: ganz anders.
Eine Fahrzeugzulassung ist Pflicht. Du musst dein Auto zulassen. Du kannst es nicht einfach in der Garage stehen lassen oder gar abmelden. Und für das ganze Prozedere hast du nur 30 Tage Zeit – egal, in welchem Zustand dein Fahrzeug ist oder wie du es erworben hast. Du musst dich sputen. In 30 Tagen musst du fertig sein. Fertig für die „TÜV“-Abnahme, die wie in Deutschland Pflicht für die Zulassung ist.
Also bin ich „schön“ zur Zulassungsstelle geflitzt, um alles abzuklären.
Unwissend, grün hinter den Ohren und naiv. „Das alles ist kein Problem“, dachte ich. Schließlich melde ich nur um. Es sind meine Fahrzeuge, mein Eigentum, auf mich zugelassen.
Pustekuchen. Hier interessiert das erst einmal niemanden. Hier musst du alles beweisen. Du fängst bei Adam und Eva wieder an – so, als hättest du dein Auto ganz neu erworben. Und weil ich drei Fahrzeuge anmelden will, muss ich auch drei Nummern ziehen. Soweit, so nachvollziehbar.
Im Warteraum Platz genommen und brav fünf Minuten gewartet, bis meine erste Nummer aufgerufen wird. Also begebe ich mich guter Hoffnung in die Höhle des Löwen. Ein Raum mit drei Kundenschaltern. An jedem ein Stuhl für den Kunden. Ist ja okay – wenn man nur ein Anliegen hat. Ich habe aber drei.
Und jetzt wird’s lustig:
Ich muss fortlaufend die Kundenschalter und die Stühle wechseln.
Bei Schalter 1 die Unterlagen für Fahrzeug 1 abgegeben. Die Sachbearbeiterin ist erst einmal beschäftigt. Also springe ich auf den Stuhl vor Schalter 2. Der Sachbearbeiter bekommt die Unterlagen für Fahrzeug 2. Da hat die Dame von Schalter 1 eine Frage. Schnell wieder auf Stuhl 1. Frage beantwortet, hechte ich zu Stuhl und Schalter 3 – bevor ich wieder Fragen bei 2 oder 1 beantworten muss.
Ob ich will oder nicht, denke ich an „Reise nach Jerusalem“.
Mit dem Unterschied, dass hier keine Musik spielt, sondern Fragen gestellt werden – eine Mischung aus dem Reisespiel und „Wer wird Millionär“.
Nach langem Hin und Her bleibe ich einfach bei Schalter 2 sitzen. Von hier aus kann ich jedem seine Fragen beantworten. Zentral, mittig, leicht verwirrt, aber gut gelaunt – denn man kann darüber nur schmunzeln. Zwei, drei dumme Sprüche von mir und der ganze Saal ist gut drauf.
„Bin ich froh, dass ich nicht nur auf Deutsch blöd labern kann“, denke ich.
Leider bringt die ganze Gruppenerheiterung am Ende nicht viel. Ich muss mit leeren Händen, ohne Zulassung, aber mit neuer Hoffnung die Arena verlassen.
Man sagt: „nix Zulassung, wenn nix übersetzt.“
Also danke und auf Wiedersehen.
Ich mache mich auf den Weg zu einem Übersetzer. Der Weg dorthin ist nicht weit – fast genauso viele Schritte, wie ich zwischen den Stühlen in der Zulassungsstelle gemacht habe. Zwei Häuser weiter ist eine Speditionsfirma, eine Zollagentur mit Dolmetscher-Service. Perfekt. Ich nehme den Service gerne in Anspruch – vorausgesetzt, er ist schnell und nicht teuer.
Die Dame am Schalter sagt: „Machen wir gerne. Kostet 200 Zloty, und morgen ist es fertig. Wir melden uns, wenn es abholbereit ist.“
Perfekt, denke ich. Machen wir so.
Ich gebe der Firma den Auftrag und fahre nach Hause. In die Garage, an die Front. Denn die Zeit läuft unerbittlich davon. Nicht Sekunde für Sekunde und Minute für Minute – manchmal denke ich, die Zeit hat einen Zahn zugelegt und macht statt 1 Sekunde 10-Minuten-Sprünge. In ein paar Stunden ist die ganze Woche rum.
Seit einiger Zeit orientiere ich mich sowieso nicht mehr an einem normalen Kalender, sondern am Müllabholkalender. So weiß ich: Heute ist Mittwoch – Mülltonne raus. Das ist mein Anker. Mein Nullpunkt. Mein Fels in der Brandung, an dem ich mich orientieren kann.
Mittwoch war der Tag, an dem ich die Bekanntschaft mit der hiesigen Zulassungsstelle gemacht habe. Demnach müsste Donnerstag der Tag sein, an dem ich die Übersetzung abholen sollte.
Der Donnerstag wurde jedoch der Tag, an dem ich zum Chamäleon wurde. Nicht, dass ich meine Farbe der Umgebung angepasst habe – na ja, nicht ganz. Je später es wurde, desto röter wurde mein Gesicht. Der Ärger hat ein zartes Rot auf mein Antlitz gezaubert.
Nicht mein Teint war für den Vergleich verantwortlich, sondern mein Blick. Meine Augen. Das eine bei der Arbeit, immer auf den Porsche gerichtet – konzentriert und nachdenklich.
Und das andere? Immer Richtung Handy blickend. Den ganzen Tag lang. Immer weiter aus der Augenhöhle herausquellend. Nervös, gebauscht, zwinkellos – halb wie ein Chamäleon.
Nach 16 Uhr war mir klar: Von wegen „kein Problem, morgen ist es fertig“. Schön verarscht.
Wenn es am Freitag bis Mittag nicht fertig ist, werde ich die Luft nicht mehr anhalten können. Dann hält mein Sicherheitsventil dem Druck nicht mehr stand.
Da es die Tage relativ kalt ist, habe ich eine Bluse mit Kapuze an. Vor lauter Ärger ziehe ich an den beiden Kordeln so fest, dass die Kapuze über die Augen rutscht und fast das ganze Gesicht verhüllt. Ich ziehe mich sozusagen zurück – zurück in meine Bluse.
Es wird Freitag. Und ich überrasche mich selbst. Ich stehe gut gelaunt auf, obwohl die Uhr tickt. Beim ersten Kaffee schwöre ich mir, mich nicht aufzuregen, und setze die Deadline auf 10 Uhr. Danach rufe ich an. Das war der Plan um 7:30 Uhr.
Um 10:10 Uhr war der Plan passé – und der Druck wieder da. Nicht nur wegen der Übersetzung. Aber der Reihe nach.
Bis 10 Uhr kein Anruf, keine Nachricht. Wie mit mir selbst vereinbart, rufe ich kurz nach 10 Uhr an. Und was bekomme ich als Antwort?
„Ist schon längst fertig.“
„Liegt seit gestern vor.“
„Hat Sie keiner informiert?“
„Haben Sie keine SMS bekommen?“
Nein, verdammt noch mal – habe ich nicht!
Egal. Keine Zeit für Diskussionen. Fertig ist fertig, und ich komme gleich vorbei. Ich muss nur aus den Arbeitsklamotten raus, Hände waschen und kurz aufs Klo – und schon kann es losgehen.
Und was soll ich sagen? Ätschi-Bätschi? Papalapap?
Wir haben kein Wasser.
Das Wasser wurde ohne Info, ohne Vorwarnung einfach abgedreht, weil direkt vor meinem Haus ein Hydrant installiert wird.
Nix Händewaschen, nix Pipi machen.
Dreckig und mit voller Blase blase ich Richtung Innenstadt. Schnell, denn es ist Freitag und jede Minute zählt.
Kurz darauf stehe ich – fast wie gebeamt – vor dem Schalter der Zollagentur. Und dann sehe ich ein Schild:
Nur Barzahlung möglich.
Und was habe ich in der Tasche? Natürlich nur Kleingeld und EC-Karte.
Der Druck steigt.
Wo ist hier ein Bankautomat? Über eine Toilette muss ich gar nicht erst nachdenken. Keine Zeit. Ich muss Geld holen – und zwar schnell. Handy raus: 500 Meter bis zum Automaten.
Laufen oder fahren? Das ist hier die Frage. Ich entscheide mich fürs Fahren.
Drei Mal um den Block, und schon heißt es: „Ihr Ziel befindet sich auf der linken Seite.“
Supi. Parkplatz gefunden, auf die andere Straßenseite – und da stehe ich vor dem Automaten mit der Aufschrift: Außer Betrieb.
Der Druck fast am Anschlag.
Langsam nähern wir uns dem roten Bereich.
Also wieder das Handy:
Nächster Automat – weitere 500 Meter.
„Nur gut, dass ich nicht zu Fuß unterwegs bin“, denke ich. Sonst wäre spätestens jetzt der Deckel durch.
Also wieder ins Auto. Drei Straßen weiter: Ziel rechts.
Dieses Mal kein Parkplatz. Alles voll. Die einzige Lücke: Halteverbot.
Egal. Die zwei Minuten wird es schon gehen.
Es wurden keine zwei Minuten.
Es wurden 20.
Vor dem Automaten eine Schlange. Keine große, aber alle älter.
Sollten die um diese Uhrzeit nicht beim Arzt sein?
Ist das in Polen anders? Statt Arzt besuchen sie die Bankautomaten?
Ich stelle mich hinten an und zappele wie mein Ölvis, um die Blase zu beruhigen – und werde Zeuge eines Phänomens:
Jeder einzelne der vier Menschen vor mir wurde davon überrascht, dass er plötzlich dran war.
Ihr wisst, was ich meine?:
Man steht da, wartet, und wenn man dran ist – was passiert?
Brille suchen. Geldbeutel suchen. Karte suchen.
Ja sogar den Zettel mit der PIN.
Als könnte man sich nicht bereits eine Minute vorher vorbereiten.
Als würde in der Nähe des Automaten eine innere App sagen:
„Hoppla! Du bist dran! Schnell: Wo ist die Brille?“
So geht das vier Mal.
Zwei Omas, zwei Opas.
Was soll ich sagen?
Jetzt habe ich nicht nur eine volle Blase – ich habe auch einen Reizdarm bekommen.
Ob vom Theaterstück am Bankautomaten oder vom Gedanken:
„Bei meinem Glück ist mein Auto jetzt abgeschleppt worden.“
Keine Ahnung.
Als ich endlich dran bin, ist meine Bankkarte vorgewärmt.
Mein Blick auf den Schlitz fokussiert.
Mit einer gezielten Bewegung führe ich die Karte blitzschnell ein.
So präzise, dass sogar der Bankautomat überrascht zu sein scheint.
"Uups … hoppla … da ist aber einer vorbereitet" wird er sich fast gedacht haben.
In 20 Sekunden bin ich fertig.
Schneller als bei einem Überfall.
„Hoffentlich steht mein Auto noch dort, wo ich es abgestellt habe“, dachte ich. Glück gehabt: Es stand noch da, ohne Zettel und ohne Parkkralle. Also schnell rein und direkt zur Zollagentur. Mit Bargeld bewaffnet holte ich die Unterlagen ab. Dass es am Ende 300 Złoty statt der ursprünglich genannten 200 waren, erwähne ich nur am Rande. Mit voller Blase und Reizdarm hat man jedenfalls keine gute Grundlage für irgendwelche Verhandlungen – schon gar nicht, wenn man zusätzlich unter Zeitdruck steht.
Mit einem ganzen Bündel an Papieren machte ich mich sofort wieder auf den Weg zur Zulassungsstelle. Dieses Mal zog ich nur eine Nummer. Ich wollte nicht drei Fronten gleichzeitig eröffnen. Nicht heute. Nicht jetzt. Kein Stühlerücken, kein Hin und Her – der Porsche hat Priorität, und das ist das Thema des Tages. Als ich an der Reihe war und den Raum betrat, wirkten auch die Mitarbeiter der Zulassungsstelle erleichtert: ein Thema, eine Nummer, ein Stuhl.
Ich reichte den Stapel mit Unterlagen rüber, und nach einer kurzen Prüfung hieß es „ok“. Ein „ok“, das allerdings noch nichts bedeutete. „Ok, wir nehmen die Unterlagen an, aber wir müssen uns mit den deutschen Behörden in Verbindung setzen.“
Wie bitte? Warum denn das? Ihr habt doch den Fahrzeugbrief, die Abmeldebescheinigung und den Kaufvertrag. Alles im Original und übersetzt. Wo ist das Problem?
Die Antwort kam sofort: „Und wo ist der alte Fahrzeugschein?“
Es gibt keinen Fahrzeugschein. Im Jahr 2001 wurde dieser bei einer Stilllegung in Deutschland einfach eingezogen. Dafür bekam der Besitzer einen grünen Zettel – die Abmeldebescheinigung.
An diesem Punkt stößt mein Verständnis an seine Grenzen. Man sollte in der heutigen Zeit doch in der Lage sein zu prüfen, wie frühere Regelungen aussahen und was in welchem Land galt. Aber so läuft es hier nicht. Man hat Zeit – und wenig Ahnung. Ich hingegen habe weder Zeit noch Verständnis, noch Geduld. Und erst recht keine Nerven.
So langsam wird es Zeit, dass ich mich umstelle, auch wenn das eine Herausforderung wird. 42 Jahre in Deutschland hinterlassen nun mal ihre Spuren. Für mich nichts Negatives – ganz im Gegenteil. Aber hier ist die Welt völlig anders.
Polen ist kein Land, Polen ist ein Geisteszustand: mit all seinen positiven wie negativen Seiten.


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